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Viele „eingefrorene“ Konflikte tauten in den vergangenen Jahren auf. Teils wurden sie zu heißen Kriegen, teils drohen sie schon bald zu solchen zu werden: die Krym, Transnistrien, der Bergkarabach-Konflikt oder Taiwan. Nur im Mittelmeer, auf der Insel Zypern, scheint die Geopolitik manchmal wie im Dornröschenschlaf. Zum 50. Mal jährte sich im Juli jene türkische Invasion, deretwegen die Insel bis heute geteilt ist.
Um 5:30 Uhr am Morgen des 20. Juli 1974 landeten die türkischen Truppen in Kyrenia. Sie intervenierten, nachdem progriechische Zyprer mit dem Ziel eines Anschlusses an Griechenland geputscht und die Briten ein Eingreifen abgelehnt hatten. Dabei hatten Athen, Ankara und London im Garantievertrag von 1959 die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit, der territorialen Unversehrtheit und der Sicherheit der Republik Zypern garantiert. Der rechtmäßigen Intervention der Türkei folgte jedoch eine jahrelange unrechtmäßige Besatzung, die im November 1983 in der Ausrufung der Türkischen Republik Nordzypern gipfelte. Bis heute wird diese nur von der Türkei anerkannt.
Neben den Türken folgten auch die Briten, die die Insel seit 1878 verwaltet hatten, nie den Aufforderungen von Friedensaktivistinnen, Umweltschützern oder Patrioten, Zypern zu verlassen. So gibt es neben der internationalen Pufferzone beidseitig der trennenden „Grünen Linie“ nach wie vor zwei Militärbasen im Süden und Südosten der Insel, auf denen Truppen der Royal Air Force und des Heeres stationiert sind: Akrotiri und Dekelia.
Seit 2003 ist zumindest der Grenzübertritt zwischen Nord und Süd erlaubt und die Beziehungen zwischen den Landesteilen haben sich etwas normalisiert – ein Referendum zur Wiedervereinigung scheiterte ein Jahr nach Grenzöffnung jedoch am Veto des Südens. Und so wurde 2004 mit dem Beitritt Zyperns aus juristischer Sicht zwar die komplette Insel EU-Mitglied, de facto steht jedoch mehr als ein Drittel der Insel nicht unter Kontrolle der Zentralregierung. Und wenngleich Akrotiri und Dekelia nie Unionsterritorium waren, gelten sie auch nach dem Brexit als EU-Zollgebiet und der Euro ist dort die gültige Währung.
Dass der eingefrorene Konflikt während eines halben Jahrhunderts nie eskalierte, liegt freilich auch daran, dass die jeweiligen Schutzmächte der beiden Inselhälften auch Mitglieder der Nato sind. Wenngleich sich Griechenland und die Türkei immer wieder verbal duellierten, wegen der Gasförderung im Mittelmeer zankten und sich das eine oder andere Grenzscharmützel lieferten, blieb der große Konflikt aus. Besonders seit einem bilateralen Treffen des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, beim Nato-Gipfel in Vilnius 2023, schien eine neuerliche Entspannungsphase einzusetzen. Verstärkt wurde diese durch die gegenseitige Hilfsbereitschaft bei Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Waldbränden.
Doch Erdoğans Worte zum 50. Jahrtag der Invasion klangen nicht nach einem baldigen Ende des Konflikts. Die von Zypern, Griechenland, der EU und den Vereinten Nationen geforderte föderale Lösung mit einem gemeinsamen zyprischen Staat lehnt Erdoğan ab. Das sei „nicht möglich“. Er will eine Zwei-Staaten-Lösung: Nur sofern man die Türkische Republik Nordzypern als gleichberechtigten Partner akzeptiere, sei sein Land „bereit, zu verhandeln und einen dauerhaften Frieden und eine Lösung in Zypern zu schaffen“. Zur Untermauerung seiner Argumente ließ er am Jahrestag einen Verband aus 50 Schiffen, Kampfflugzeugen und bewaffneten Drohnen eine Parade nördlich der Insel abhalten. Ein Friede sieht anders aus. Ein Krieg jedoch auch.