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Militär

Leitet Puntland die endgültige Zersplitterung Somalias ein?

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Der weiße, fünfzackige Stern auf Somalias hellblauer Nationalflagge steht für die fünf Regionen, in denen Somalis leben. Seit seiner Unabhängigkeit 1960 kontrolliert der Staat aber bei Weitem nicht all diese Gebiete. Ein Beispiel ist die Region Ogaden, die man bereits im 19. Jahrhundert verlor und auch in einem 1977 angezettelten Krieg gegen Äthiopien nicht zurückerobern konnte. Das ostäthiopische Ogaden sorgt heute noch für die etwas skurril wirkende Form Somalias. Seit sich das nordwestliche Somaliland, das einst unter britischer Kolonialherrschaft stand, 1991 vom Rest des Landes lossagte und einen weitgehend funktionalen De-facto-Staat ausrief, fehlt sozusagen ein weiterer Zacken von Somalias Stern. Mit der bisher bereits teilautonomen Region Puntland im Nordosten des Landes droht seit Ostern 2024 weiterer Ärger, ein weiterer Zackenverlust und am Ende nicht weniger als der vollständige Zerfall Somalias.

In seinem Streben nach mehr zentralisierter Macht im chaotischen politischen System des Landes drückte der somalische Präsident Hassan Sheikh Mohamud eine Verfassungsreform durch, deren wichtigste Merkmale die Wiedereinführung des universellen Wahlrechts, die Verlängerung seiner Amtsperiode sowie ein Kompetenzzuwachs des Präsidenten sind, durch den er etwa alleinig den Premierminister ein- und absetzen kann. Die Wahlrechtsänderung gilt im großteils nomadisch geprägten Somalia vor allem deshalb als kontrovers, weil dadurch jene Clans an Macht verlieren, die seit dem Militärputsch des Diktators Siad Barre im Jahr 1969 das Stimmrecht exklusiv innehaben. Vonseiten der mächtigen Männer im Norden hieß es, dass man der Regierung in Mogadischu „ihre Anerkennung und ihr Vertrauen“ entziehe. Gefordert wird eine Verfassung mit föderalen Elementen, die durch eine Volksabstimmung bestätigt wird – also deutlich weniger Macht für den Präsidenten.

Mehrere Konflikte gleichzeitig

Kurzum heißt das: Den Nordwesten des Landes „verlor“ der Staat Somalia de facto schon Anfang der Neunzigerjahre, der Nordosten will vorerst auch keine Kooperation mit der Regierung und im Süden des Landes kämpft man seit Jahren gegen einen islamistischen Aufstand. Zum innenpolitischen Tumult kommt hinzu, dass es in der jüngeren Vergangenheit nicht nur zu blutigen Auseinandersetzungen in der umstrittenen Grenzregion zwischen Somaliland und Puntland kam. Auch im Süden des Landes bekriegen sich lokale Ableger des sogenannten Islamischen Staates mit den Al-Shabaab-Milizen, die wiederum engste Verbindungen zum Terrornetzwerk Al Kaida pflegen. Aus Sorge vor einer Ausbreitung der Islamisten intervenierten über die Jahre nicht nur alle Nachbarstaaten Somalias militärisch, auch die EU und die USA stellten finanzielle Mittel für den Kampf bereit. Letztere flogen seit 2007 zudem mehr als 300 Angriffe mit Drohnen. All das fügt sich in Machtkämpfe um Ressourcen und Einfluss verschiedener Warlords und bewaffneter Milizen, eingebettet in ein von Korruption, schweren Umweltkatastrophen und anhaltenden Dürreperioden gezeichnetes Land.

Dass sich manch wirtschaftliche Kennzahl in Somalia dennoch vorsichtig positiv entwickelt, hat unter anderem mit der langjährigen Unterstützung der Vereinten Nationen, einem Schuldenerlass reicherer Länder, aber auch der zwischenstaatlichen Unterstützung durch die Türkei zu tun. Was als humanitäre Hilfe um 2011 herum begann, entwickelte sich schon bald zu einer strategischen Partnerschaft. Nachdem türkische Unternehmen bereits das Management des Flughafens und Hafens von Mogadischu übernommen hatten, folgte 2024 die Unterzeichnung eines zehnjährigen Verteidigungsabkommens zwischen der Türkei und Somalia. Es beinhaltet vor allem die Ausbildung und Ausstattung der somalischen Marine zur Sicherung ihrer mehr als 3.000 Kilometer langen Küste. Die Küstengewässer und Routen der Handelsschiffe waren zuletzt wieder verstärkt von Piraterie und den Attacken der vom Iran finanzierten Huthi-Rebellen betroffen. Das Nato-Mitglied Türkei verfolgt in seinem Streben, eine überregionale Macht zu werden, auch Eigeninteressen. Es füllt – mit Duldung der USA – in Afrika aber auch zusehends jene Machtlücken, die verhasste Ex-Kolonialmächte wie Frankreich hinterlassen haben und in die Russland und China hineinzustoßen drohen.

Externe Interessen

Für viel Aufruhr sorgte zu Jahresbeginn zudem ein Abkommen zwischen Äthiopien und der separatistischen Region Somaliland, das die Errichtung eines Marinestützpunktes durch Addis Abeba sowie die Nutzung des Containerhafens Berbera im Gegenzug für die erstmalige Anerkennung durch einen UN-Staat beinhaltete – ein Affront gegenüber Somalia. Das bevölkerungsreichste und mächtigste Binnenland der Welt, Äthiopien, verschifft bisher rund 95 Prozent seiner Exporte über Dschibuti und erhofft sich durch den Deal weniger Abhängigkeit, bessere Handelsbedingungen und mehr außenpolitischen Spielraum. Die heftigen Proteste bis hin zu Kriegsdrohungen Somalias, mit Ägypten im Rücken, scheinen jedoch weder Somaliland noch Äthiopien von ihren Vorhaben abzubringen.

In den vergangenen Jahren ist auch die Präsenz der Vereinigten Arabischen Emirate gewachsen, die den Somaliland-Äthiopien-Deal prinzipiell unterstützen. Wenngleich das Verhältnis zwischen Abu Dhabi und Ankara lange als angespannt galt, hatte es sich zuletzt eigentlich gebessert – beide hatten etwa Äthiopien im Tigray-Bürgerkrieg unterstützt. Die folgenreichen Deals zwischen Somaliland und Äthiopien sowie der Türkei und Somalia haben dieses Beziehungsgeflecht nochmals verkompliziert. Sollte sich mit Puntland noch ein weiterer Akteur hinzugesellen, würde die Lage am Horn von Afrika alles außer übersichtlicher.

Fußnoten

  1.  Smithy, Whitney: Flag of Somalia, auf: britannica.com (20.6.2024).
  2.  Rühl, Bettina: Alte Feinde, neue Krise, auf: deutschlandfunk.de (20.10.2006).
  3.  Johnson, Dominic: Puntland strebt nach Unabhängigkeit, auf: taz.de (1.4.2024).
  4.  Deutsche Welle (Hg.): Somalia: Puntland pulls recognition of federal government, auf: dw.com (31.3.2024).
  5.  Al Jazeera (Hg.): Armed factions in Somalia’s Puntland agree ceasefire after clash, auf: aljazeera.com (21.6.2023).
  6.  Special Eurasia (Hg.): The Clash Between the Islamic State and Al-Shabaab in Somalia: Geopolitical Instability And Terrorist Threat, auf: specialeurasia.com (22.2.2024).
  7.  New America (Hg.): The War in Somalia, auf: newamerica.org (20.6.2024).
  8.  Donelli, Federico: Red Sea politics: why Turkey is helping Somalia defend its waters, auf: theconversation.com (28.2.2024).
  9.  Peksaglam, Philipp: Ordnet der Berbera-Pakt das Horn von Afrika neu?, auf: magazin.zenith.me (30.1.2024).

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