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Landwirt:innen in Bedrängnis

Getreideversorgung durch die Ukraine vom Angriffskrieg gefährdet

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Aus Erhebungen des KSE-Institutes geht hervor, dass in der Ukraine durch den Angriffskrieg Russlands innerhalb eines Jahres Schäden im Wert von 8,7 Milliarden Dollar, im landwirtschaftlichen Sektor entstanden.  

Der größte Verlust wurde durch die Zerstörung und Beschädigung von rund 109.600 landwirtschaftlichen Maschinen verursacht. Laut der Hersteller liegen die Verluste damit bei mehr als 4,65 Milliarden Dollar.

Auch Landwirte leiden unter Verlusten aufgrund der Zerstörung und des Diebstahls ihres Ertrages. So wurden über vier Millionen Tonnen der Ernteerträge entwendet oder vernichtet. Dies entspricht einem ungefähren Gesamtschaden von rund 1,87 Milliarden Dollar.

Silos, zur Lagerung von Getreide, werden von Angriffen ebenso zerstört. Die Schäden zerstörter Getreidespeicher entspricht einer Gesamtmenge von 8,2 Millionen Tonnen Getreide. Die Lagerkapazität der beschädigten Getreidespeicher entspricht einer Summe von rund 3,25 Millionen Tonnen. Die Kosten zur Wiederherstellung der zerstörten Lager werden auf rund 1,33 Milliarden Dollar geschätzt.

Durch den Krieg Russlands in der Ukraine wurde auch der Agrarbetrieb von Vitaliy Petrychenko schwer getroffen. Seit fast 30 Jahren ist er in der Landwirtschaft in der Region Cherson tätig. Er ist Besitzer einer eigenen Farm. Auch die entsprechenden landwirtschaftlichen Maschinen und Felder gehören zu seinem Betrieb. Spezialisiert hat Petrychenko sich auf den Anbau von Getreide, Sonnenblumen, Beeren und Nüssen.

"Vor dem Beginn des Angriffskrieges durch Russland auf die Ukraine hatte ich ein erfolgreiches Geschäft. Jetzt ist alles zerstört. Russische Streitkräfte zerstörten durch Raketen meinen Mähdrescher, Traktor und auch mein Lagerhaus. Im Lager befanden sich noch Getreide, Saatgut und Düngemittel. Die Russen haben mir alles gestohlen", sagt Vitaliy Petrychenko.

Vitalys landwirtschaftliche Maschinen sind defekt. Geld für die Reparatur besitzt er nicht. Die Ausmaße der Schäden belaufen sich auf eine Million Dollar. Auch ohne entsprechende Technik ist es für den Bauer unmöglich geworden, seine Felder zu betreten. Das gesamte Gebiet ist vermint.

"Aus dem Boden ragen russische Geschosse wie der „Uragan“ und der „Smertsch“ heraus. Wir wissen nicht einmal, ob sie bereits entschärft sind oder nicht. Die Sprengstoffexperten haben sie überprüft und uns gesagt, wir sollten nicht hin, weil es zu gefährlich ist. Überall sind russische Minen. Die Bauern haben Angst, zur Arbeit zu gehen. Es wäre gut, wie gewohnt Geld zu verdienen, um meine Pacht und die Kredite weiter zu zahlen. Natürlich auch, um mein Leben wie normalerweise zu führen", sagt Vitaliy Petrychenko.

Auch mit der sofortigen Entminung der Felder, sei es den Bauern zufolge nicht möglich, ihre Arbeit wie gewohnt fortzusetzen. Um die Erde wieder nutzbar zu machen, werden die entsprechenden zeitlichen und finanziellen Mittel benötigt. Aus Berechnungen der Kyiv School of Economics ergibt sich dafür eine Summe von etwa 40 Millionen Dollar. 

Laut Schätzungen der ukrainischen Regierung wurden 174.000 Quadratkilometer Landfläche durch Minen verseucht. Auch Gebiete im Meer sind betroffen. Momentan mangelt es an Sprengstoffexpert:innen und der Ausrüstung, um alle Gebiete zu entminen. Laut dem ukrainischen Verteidigungsminister Oleksij Resnikow sind mindestens 5.000 Sprengstoffexpert:innen und 30 Jahre Arbeit erforderlich, um den Boden vollständig von Munition zu befreien. 

Nach Schätzungen der Weltbank belaufen sich die Gesamtkosten für das umfassende Minenräumungsprogramm auf 37,4 Milliarden Dollar. Davon sind allein 1,5 Milliarden Dollar für die Entminung landwirtschaftlicher Flächen erforderlich.

Der Ukrainian Agribusiness Club schätzt, dass 2 Millionen Hektar Land der befreiten Gebiete in der Ukraine weiterhin vermint sind. Bis zu 800 Millionen Dollar kostet die Wirtschaft des Landes jedes Jahr, in dem die Flächen nicht genutzt werden können. Weitere 6 Millionen Hektar Land sind noch besetzt und werden nach der Befreiung ebenfalls überprüft werden müssen.

Um auf den Feldern arbeiten zu können, inspizieren die Landwirt:innen die Felder entweder selbstständig oder lassen diese durch private Sprengstoffexpert:innen prüfen. Pro Quadratmeter der befreiten Landfläche zahlen sie oftmals mehr als 3.000 US-Dollar.

Auch die Landwirt:innen, deren Betriebe sich nicht in der unmittelbaren Kampfzone befinden, leben unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen. Zentrale Probleme stellen laut Alexander Scherbyna, Mitglied des Verbandes der Bauern und privaten Grundbesitzer, der Mangel an Absatzmärkten und die niedrigen Preise für landwirtschaftliche Produkte dar.

"Wir arbeiten nur, weil es Teil der ukrainischen Kultur ist, das Land zu bepflanzen. Wir erwirtschaften keinerlei Gewinn. Im letzten Jahr haben wir Weizen zu 50% der Selbstkosten verkauft - Mais zu 30% der Selbstkosten. Das bedeutet, wir arbeiten einzig mit Verlusten. Viele Landwirt:innen haben ihre Anbauflächen bereits reduziert", sagt Alexander Scherbyna.

Für die Ukraine birgt dies die Gefahr des Bankrotts vieler landwirtschaftlicher Betriebe. Dies würde eine große Fläche brachliegender Felder und das Ende des Anbaus von Getreidekulturen bedeuten.

Das wird auch Auswirkungen für Europa haben. Für die Futtermittel in der Viehzucht wird größtenteils ukrainischer Weizen verwendet. Der Rückgang des Getreideanbaus wird laut Alexander Scherbyna innerhalb eines Jahres spürbar werden. Momentan gibt es noch Restbestände, die auf dem inländischen wie auch dem internationalen Markt abgesetzt werden.

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