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Seoul, Kyjiw und mittlerweile auch Washington sind sich sicher, dass Pjöngjang Truppen nach Russland entsandt hat, um sie auf eine Teilnahme am Angriffskrieg gegen die Ukraine vorzubereiten. Das hat geopolitisch und völkerrechtlich schwerwiegende Folgen. Damit würde Nordkorea zur Kriegspartei werden. Das wiederum hätte zur Folge, dass theoretisch auf Bitten der Ukraine jeder Staat der Welt Nordkorea angreifen könnte und das völkerrechtlich auch noch legitimiert wäre, denn die Entsendung von Truppen auf Geheiß einer Regierung wird rechtlich weit strenger bewertet als etwa die Lieferung von Waffen.
Nun ist der totalitäre Führer Nordkoreas, Kim Jong-un, nicht gerade bekannt dafür, sich sonderlich ums Völkerrecht zu kümmern. Immerhin ignoriert er seit Jahren verschiedenste UN-Resolutionen gegen sein Land. Er zündelt permanent mit neuen Raketentests, der Entwicklung neuer Atomwaffen und ist ein steter Unruheherd der Weltpolitik. Zuletzt schien sich der dritte Herrscher der Kim-Dynastie nochmals zu radikalisieren. Seit von Donald Trumps Atom-Diplomatie nicht viel mehr als ein PR-Stunt übrig blieb, verabschiedete sich Kim immer deutlicher vom Gedanken, mit den USA jemals ein Auskommen zu finden. Pjöngjang strebt seither eine noch tiefere Beziehung zur langjährigen Schutzmacht China an und hat seit dem Sommer 2024 auch die Partnerschaft mit Russland enorm vertieft.
Im Juni versicherten sich die beiden Machthaber in der nordkoreanischen Hauptstadt „gegenseitigen Beistand im Falle einer Aggression gegen eine der Vertragsparteien“ sowie eine „militärisch-technische Zusammenarbeit“. Kim machte die „bedingungslose Unterstützung“ seines Landes für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine deutlich. Er verkauft Waffen an Moskau und bekommt dadurch frisches Geld in seine vom Welthandel ausgeschlossene Diktatur. Hinzu kommt, dass er zu Jahresbeginn das sieben Jahrzehnte alte außenpolitische Hauptziel, die Wiedervereinigung mit dem Süden, mit einer einzigen Rede beerdigte. Das Brudervolk sei keines mehr, der Süden aufgrund der „Yankee-Kultur“ zu einer „Missbildung“ mutiert, Südkorea der neue „Hauptfeind“. Seinen Worten ließ Kim rasch Taten folgen: Er ließ ein Monument zur Wiedervereinigung, erbaut von seinem Vater in Gedenken an seinen Großvater, niederreißen und zerschlug Organisationen, die sich für bessere Beziehungen mit dem Süden einsetzen.
71 Jahre nach dem Ende des Koreakrieges gibt es zwischen Nord und Süd noch immer keinen Friedensvertrag, sondern nur einen Waffenstillstand. Daher ist auch die finale Grenzziehung in den Hauptstädten ein Thema unterschiedlicher Interpretationen. Dem Norden ist vor allem die Seegrenze der Northern Limit Line (NLL) im Gelben Meer vor der Westküste der Halbinsel ein Dorn im Auge – wegen der Fischereirechte rund um fünf umstrittene Inseln. Bei einem nordkoreanischen Angriff 2010 auf Yeonpyeong wurde ein südkoreanisches Schiff versenkt, zwei Soldaten verloren ihr Leben. In der Vergangenheit gab es weitere Warnschüsse, dieses Jahr bereits Artilleriefeuer in unmittelbarer Nähe der Insel. Kim hat schon angekündigt, dass man die „illegale Grenze“ niemals tolerieren werde und jede Verletzung seitens Südkoreas als Kriegserklärung betrachte, auch wenn es nur um „0,001 Millimeter“ gehe.
Manche Militärstrategen befürchten, dass Nordkorea einen Angriff im Zuge einer gleichzeitigen Invasion Taiwans durch China planen könnte, weil die westliche Unterstützung der Mehrfachbelastung womöglich nicht gewachsen wäre. Auch deshalb will Südkorea seit geraumer Zeit eigene Atomwaffen, um den Norden abzuschrecken. Das lehnen wiederum die westlichen Partner Seouls ab, die jedwede Weiterverbreitung von Atomwaffen unterbinden wollen. Das US-Magazin Foreign Policy urteilte zuletzt, dass ein Krieg in Korea so nah sei wie seit 1953 nicht mehr.