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Armenien ist nachhaltig enttäuscht von seinem Verbündeten Russland und hat deutlicher denn je angekündigt, die OVKS verlassen zu wollen. Die OVKS ist die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, ein russisch geführtes Militärbündnis einiger Ex-Sowjetrepubliken. Sie versprechen sich im Falle eines Angriffs gegenseitige Unterstützung. Eine Art Gegenpol zur Nato, militärisch allerdings deutlich schwächer und unbedeutender. Mitglieder sind Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan. Nicht länger dabei sind seit einigen Jahren Usbekistan, Georgien und Aserbaidschan. Sie suchten andere Wege, sich zu verteidigen, oder fürchteten Russland. Aserbaidschan war es auch, das für den armenischen Frust, die zwischenzeitliche Ruhendstellung von dessen Mitgliedschaft und den nun bevorstehenden gänzlichen Rückzug verantwortlich war.
Grund war der langjährige Konflikt um die Region Bergkarabach, der seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in mehreren kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Armenien und Aserbaidschan gipfelte. International wurde die hauptsächlich von Armeniern bewohnte, selbsternannte Republik Arzach nie anerkannt. 2020 machte sich Baku mit Waffengewalt jedoch daran, die Situation am Boden der rechtlichen „anzugleichen“. Mit türkischer Hilfe gewann Aserbaidschan den kurzen Krieg. Die letzten verbliebenen Armenier vertrieb man drei Jahre später nach Armenien. Mit Jahresbeginn 2024 hörte die Republik Arzach auch formal auf zu existieren.
Das jähe Ende eines Konflikts, der die Politik der beiden Südkaukasusstaaten über Jahrzehnte prägte, hinterließ viele Wunden und Fragezeichen. In der armenischen Hauptstadt Eriwan, angeführt von dem durch eine friedliche Revolution an die Macht gekommenen Nikol Paschinjan, stellte man die vermeintliche Schutzmacht Russland immer deutlicher infrage. Die Hilfegesuche an die OVKS sowie das Betteln um russische Unterstützung blieben unerfüllt. Zuletzt lieferte das in der Ukraine schwer beschäftigte Russland nicht einmal mehr Waffen aus bestehenden Verträgen an Armenien.
Trotz Tausender russischer Soldaten im Land und einer völligen Abhängigkeit von Moskau, etwa im Bereich der Luftabwehr, wollte Armenien zuletzt immer deutlicher neue Partner an Bord holen. Man kaufte Waffen von Indien und Frankreich, beschloss eine intensivierte Zusammenarbeit mit den USA und nahm bisweilen sogar das in Moskau so verpönte Wort EU-Beitritt in den Mund.
Paschinjan drängt gemeinsam mit einer proeuropäischen Jugend gen Westen. Auf diesem Weg versucht er gleichzeitig Frieden mit seinen Nachbarn Aserbaidschan und der Türkei zu schließen, um nicht eines Tages in einem weiteren Konflikt zwischen den miteinander verbündeten Ländern aufgerieben zu werden. Der Friedensdeal mit den verhassten Erzfeinden ist innenpolitisch schon heikel genug. Jede Annäherung an Nato-Staaten, während noch russische Truppen im Land und an der Südflanke iranische Truppen stationiert sind, macht die Lage für Paschinjan regional- und geopolitisch noch einmal schwieriger.