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Europaweite Propaganda

Wie russische Propaganda in Europa funktioniert

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Russland verwendet weiterhin aktiv propagandistische Narrative, indem es eigene Agent:innen in verschiedene Länder aussendet. Dabei greifen sie auch auf Massenmedien und soziale Netzwerke zurück.

Forscher der Propaganda erklären, dass die Russen ihre Invasion in den Ländern des postsowjetischen Raums als rechtmäßig ansehen. Sie versuchen durch Verschwörungstheorien Einfluss auf Europäer:innen zu nehmen. Beispielsweise mit der Erzählung, die Europäische Union sei den USA unterworfen.

Je größer die Lüge, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie geglaubt wird. Diesem Prinzip folgen die Russen bei der Verbreitung von Fehlinformationen. Einem Teil des Publikums fällt  es mitunter schwer, alle Informationen aus Russland als Falschmeldungen anzusehen. Russland nutzt bei der Arbeit mit ausländischem Publikum eine Reihe komplexer Instrumente  der Informationskriegsführung.

Dazu zählen mitunter offene Fehlinformation und Informationsfilterung. Diese ermöglicht es der russischen Regierung Ukrainer:innen im Ausland zu diskreditieren, sagt der Soziologe und Kommunikationsexperte des Internationalen Zentrums zur Bekämpfung russischer Propaganda, Dmytro Gromakov.

Als ein Hauptmittel zur Verbreitung von Propaganda nutzt Russland Russia Today, einen internationalen, mehrsprachigen Fernsehsender, der 2005 gegründet wurde. Er wird hauptsächlich aus staatlichen Mitteln finanziert. 

Die Großmacht nutzt auch eigene Agent:innen zur Einflussnahme. Die Netzwerke entstanden bereits zu Sowjetzeiten und werden bis heute genutzt. Die UdSSR strebte damals ebenso nach einer Vormachtstellung in der Welt. Um ihr Ziel zu erreichen, führten die sowjetischen Geheimdienste weltweit parteiliche Veranstaltungen durch, die unter anderem die Zusammenarbeit mit Journalist:innen und Meinungsführenden umfassten.

"Die Organisation 'Weltfriedensrat' wurde beispielsweise von der Sowjetischen Union gegründet, auch wenn sie dies bestreitet. Damit sollte im Interesse der UdSSR ziviler Einfluss auf Regierungen ausgeübt werden. Ihre Vertreter:innen setzten sich für Abrüstung ein und forderten, dass die NATO keine Waffen erprobt. Genauso gibt es heute viele ähnliche Bewegungen in verschiedenen Ländern."

Derzeit besteht das  grundsätzliche Narrativ sowie das Ziel der ausländischen, russischen Propaganda darin, dieUkrainer:innen in zwei Gruppen zu spalten.

"Es werden verschiedene Strömungen von Menschen aus der Ukraine vermischt: ukrainische Bewohner:innen, die mit dem Beginn des russischen Angriffes ausgereist sind und denen, die zuvor von den besetzten Gebieten nach Russland und von dort ins Ausland geflohen sind. Allerdings ist die zweite Kategorie bereits von den russischen Narrativen beeinflusst, die sie weiterverbreiten. So sei es in der Ukraine zu einem Bürgerkrieg gekommen, in den Russland eingegriffen hat.

Bereits 2014 soll es einen Putsch und einen Staatsstreich in der Ukraine gegeben haben. Ein politisch uninteressierter Teil des westlichen Publikums nimmt diese Informationen auf. Dies trägt zur Bildung einer negativen Einstellung einiger Europäer:innen gegenüber der Ukraine und den Ukrainer:innen bei", sagt Kommunikationsexperte Dmytro Gromakov.

Russland versuche zudem, die beiden Gruppen aus Ukrainern gegeneinander auszuspielen, um Konflikte zu schüren. Damit soll den Europäern das Bild eines uneinheitlichen ukrainischen Volkes vermittelt werden, das keine eindeutige Haltung zum Krieg besitzt.

Um die Propaganda effektiver zu gestalten, wählen die Russen Themen, die auf jedes Land angepasst sind. Demnach nutzen sie beispielsweise laut der Ukraine War Disinfo Working Group des Open Information Partnership in Polen  das Thema ukrainischer Geflüchtete und stellen sie als aggressiv und unhöflich dar. Auch nutzen sie historische Figuren zur Begründung unterlassener Unterstützung gegenüber der Ukraine, wie mit dem Helden Stepan Bandera, der einst gegen Polen kämpfte.

Gegenüber den Nachbarländern Moldawien und Georgien betonen sie, dass sie durch die Unterstützung der Ukraine in den Krieg hineingezogen werden könnten. Tatsächlich ist dies laut dem Analysten Denis Samygin eine Form der Einschüchterung.

Mit Beginn des Angriffskrieges und der misslungenen vollständigen Eroberung der Ukraine hat sich auch die Propaganda in Deutschland verstärkt.

"Russland nutzt klassischerweise die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Sie behaupten, Deutschland stehe unter der Kontrolle der USA. Was ihre Aussagen über den Krieg in der Ukraine betrifft, so verbreiten sie in Deutschland, es sei ein Kampf zwischen zwei Barbaren. Russland bestätigt das Töten und Vergewaltigen russischer Soldaten, betont  gleichzeitig aber auch, die Verbrechen ukrainischer Soldaten. Sie versuchen also, eine Gleichstellung zu erreichen. Dies mache es der Öffentlichkeit schwerer, die Wahrheit zu erkennen", sagt Dmytro Gromakov.

Für deutsche Empfänger:innen russischer Propaganda wurde beispielsweise die Falschmeldung über eine radioaktive Wolke aus der Ukraine verbreitet, die Deutschland erreichen könnte.

"Nach der Explosion in der Region Chmelnizkij infolge des russischen Angriffes behauptete russische Propaganda, eine Waffenlieferung der NATO zerstört zu haben. Diese sollten Geschosse mit angereichertem Uran enthalten, was angeblich zu einer ökologischen Katastrophe führte. Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Mykola Patruschew, sagte, eine radioaktive Wolke sei aufgestiegen und werde bald Deutschland erreichen. Dies, obwohl moderne Strahlenmessgeräte nichts entdeckten. Sie erfanden die Geschichte, damit sie sich im deutschsprachigen Raum verbreitet. Lokale Medienschaffende oder Politiker:innen sollten darauf verweisen können", erklärt der Analyst Denis Samigin.

Russland strebt danach, den gesamten postsowjetischen Raum zu kontrollieren. Immer wieder erzählt die Propaganda von der Rechtmäßigkeit der Invasion in die Ukraine.

"Sie betrachten es als ihre Zone. Daher hat die Welt nicht das Recht, sie zu verurteilen oder sich in Konflikte einzumischen. Die grundlegende russische Erzählung, seit über 30 Jahren, behauptet, dass die Ukraine kein eigenständiger Staat ist, sondern ihr Territorium. Der einzige Garant ihrer Staatlichkeit könne nur Russland sein und niemand anders", erklärt der Kommunikationsexperte Dmitro Gromakov.

Mit diesem Argument rechtfertigt Russland auch seine Invasion in andere Länder. Die Nachrichten greifen die Desinformationen ebenfalls auf.

"Wo immer Russland einmarschiert, findet es 'Faschisten'. Es gab 'moldauische Faschisten' im Jahr 1992, als Russland den Krieg in Moldawien begann und die sogenannte Transnistrien-Region schuf. Ebenso gab es 'georgische Faschisten', und jetzt sind es 'ukrainische Faschisten und Nazis'. Der Mythos von Nazis wird insbesondere in Ländern, die weit von der Ukraine entfernt sind, verbreitet", erzählt der Analyst Denis Samigin.

Nach Ansicht des Kommunikationsexperten Dmytro Gromakov liegt der Unterschied in Russlands Versuchen, fremde Gebiete zu erobern, allein darin, dass sie in der Ukraine mit dem Widerstand der westlichen Welt konfrontiert wurden.

"Als sie Operationen in Itschkerien, Georgien, Transnistrien durchführten und selbst nach der Besetzung der ukrainischen Krym reagierte die Welt nicht besonders auf das Handeln der Russen. Sie stießen also auf keinen Widerstand und setzten gemäß ihrem ausgearbeiteten Schema alle Informationskampagnen fort", so Dmytro Gromakov weiter erzählt.

Laut dem Analysten Denis Samigin hat sich aufgrund des gescheiterten Versuch Russlands das gesamte Gebiet der Ukraine zu erobern, ihre Rhetorik geändert.

"Jetzt sind sie bereit, sich auf friedliche Verhandlungen einzulassen. Propagandist:innen schalten sich ein, die mit Anti-Kriegs-Narrativen arbeiten. Sie führen Aktionen gegen die Aufrüstung der Ukraine durch und sprechen von der Gefahr eines Atomkrieges. Es sollte jedoch verstanden werden, dass Russland all dies nur tut, um seine derzeitigen Positionen zu festigen, sich zu mobilisieren und Bewohnende der besetzten Gebiete anzuwerben. So wie sie es 2014 im Osten der Ukraine getan haben. Laut Denis Samigin ist es ihr Ziel, erneut vorzurücken".

In der Ukraine wurde der Zugang russischer Propaganda zum ukrainischen Informationsraum eingeschränkt: in den sozialen Medien, im Fernsehen und Radio. Nach Meinung des Kommunikationsexperten Dmytro Gromakov sollte auch Europa beachten, dass russische Propaganda in ihren Informationssystemen präsent ist und dagegen vorgehen.

"Meinungsfreiheit, als einer der grundlegenden Werte Europas, kann zum Angriffsziel und zum Instrument destruktiven propagandistischen Einflusses werden. Sobald Propagandist:innen verdrängt werden, erhöht sich die Meinungsfreiheit. Es muss jedoch deutlich zwischen Propaganda, Information und politischer Aktivität unterschieden werden. Es sollte betont werden, dass das russische Narrativ destruktiv ist und dass die Verfechter:innen in Europa destruktive Aktivitäten ausüben", sagt Dmytro Gromakov.

Insbesondere sollte laut dem Experten auch auf die Darstellung der von Russland besetzten ukrainischen Gebiete in europäischen gedruckten Bildungsmaterialien geachtet werden. In Atlanten und Straßenkarten, auf denen die Krym als russisch gekennzeichnet ist, verlaufen die Routen durch russisches Territorium.

Laut Dmytro Gromakov gibt es keine Warnung, die die Nutzung der Route als gegen ukrainisches Recht verstoßen anzeigt. Dies stellt eine sehr sensible Falschinformation dar. Am schlimmsten ist die Wissensvermittlung an europäische Kinder durch das Lernen mit Karten.

Bei ihnen könnte der Versuch, die Ukraine zu befreien, als Aggression und Eindringen der Ukraine in russisches Gebiet wahrgenommen werden. Die Regierung der Europäischen Union sollte darauf achten, dass dies zukünftig zu widersprüchlichen Bewertungen des Konflikts und Positionen von Parteien führen könnte.

Derzeit erscheint die Gefahr minimal, da es sich um einzelne russische Agent:innen,  Nachrichten in der Presse und öffentliche Auftritte handelt. Es sollte jedoch die Zukunftsperspektive solcher Handlungen beachtet werden.

"Wenn dies über viele Jahre hinweg gezielt geschieht und die russische Idee der weltweiten Vorherrschaft  täglich die gesamte Welt infiltriert ,bleibt dies nicht folgenlos. Russland hat es sich zum Ziel gesetzt, die europäische Zivilisation zu zerstören. In den russischen Medien wird jeden Tag erklärt, dass sie Europa und die ganze Welt erobern wollen. Dies betrifft nicht nur die Ukraine. Diese Ideologie verbreitet sich weltweit, da die Russen die Welt als ein Feld betrachten, das sie erobern und unterwerfen können. Dies muss aufgedeckt werden, der Fokus auf die Gefahr des russischen Imperialismus gelegt werden", erklärt Analyst Denis Samigin.

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