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Das Prinzip Putin macht Schule und Diktatoren versuchen wieder Grenzen zu verschieben. Noch wendete der venezolanische Machthaber Nicolas Maduro keine Gewalt an, doch die Verbündeten Guyanas bringen sich für den Ernstfall bereits in Stellung. Aber warum zur Hölle wärmt das erdölreichste Land der Welt einen jahrzehntealten, vom Vorgängerpräsidenten Hugo Chávez auf Anraten Fidel Castros eigentlich schon für beendet erklärten, Grenzstreit wieder auf? Na klar, wegen noch mehr Öl.
2014 verkauft der Mineralölriese Shell nach mehrmaligen erfolglosen Bohrungen seine 30-prozentigen Anteile an einem Ölförderprojekt in Guyanas exklusiver Wirtschaftszone um 30 Millionen Euro an die US-Firma Hess. Es sollte für Shell einer der schlechtesten Deals der Erdölgeschichte werden, denn nur ein Jahr später macht man vor Guyana den größten Erdölfund des 21. Jahrhunderts mit ausgezeichneten Chancen auf weitere förderbare Felder. Als 2023 Hess von Chevron aufgekauft wurde, bewertete man dessen Guyana-Beteiligung mit dem mehr als 830-fachen des ursprünglichen Kaufwerts: schlappe 25 Milliarden Dollar. Weil der guyanische Staatshaushalt die Hälfte der Profite aus den Öleinnahmen kassiert, erlebt das einst bitterarme Land gerade ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Bereits am Ende des Jahrzehnts wird man wohl, gemessen am BIP pro Kopf, das drittreichste Land am amerikanischen Kontinent sein - nach den USA und Kanada.
Solche Summen wecken Begehren - auch bei Venezuela, das es aufgrund von Misswirtschaft und Korruption nicht einmal auf die Reihe bekommt, den eigenen Ölreichtum in ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum umzumünzen. Daher liegt der Verdacht nahe, dass das Säbelrasseln Maduros nur ein klassischer Fall einer Nebelgranate ist, wonach man versucht von innenpolitischen Problemen durch die Schaffung eines Feindbilds im Ausland abzulenken.
Das Absurde: nachdem Maduro im Dezember 2023 in einem umstrittenen Referendum über die Annexion der Region Guayana Esequiba - die immerhin zwei Drittel der Landesfläche Guyanas ausmacht - abstimmen ließ, waren die Verstimmungen zwischen den Ländern verständlich groß. Auf Initiative südamerikanischer Nachbarn hatten sich Maduro und sein guyanischer Amtskollege Irfaan Ali dann später aber im Karibikstaat St. Vincent und die Grenadinen getroffen und einander die Hände geschüttelt. Eine Lösung des Grenzkonflikts fand man zwar nicht, aber man einigte sich darauf, keine Gewalt anzuwenden und die Spannungen nicht eskalieren zu lassen. “Friede und Liebe”, sagte Maduro damals, als er Geschenke an Ali überreichte.
Im April 2024 folgte dann Maduros nächstes “Geschenk”, die offizielle Annexion per Gesetz in den Grenzen von 1777. Dies würde automatisch neue Seegrenzen bedeuten, welche praktischerweise die neuen Ölfelder einschließen. Zwar waren die beiden Länder tatsächlich vor der Unabhängigkeit Guyanas im Jahr 1966 nochmals aufgefordert worden über den Grenzverlauf neuerlich zu verhandeln, aber eben friedlich. Und bis zu einer friedfertigen Lösung gelten eben die von einem Schiedsgericht bestätigten Grenzen aus dem Jahr 1899, wonach Guyana aus drei Dritteln seines Territorialgebietes besteht und nicht nur einem. Zumindest bis 2024 der Internationale Gerichtshof erneut urteilen wird. Wohl in Anbetracht einer drohenden Niederlage hat Venezuela schon angekündigt, das Urteil nicht anerkennen zu wollen.
Bislang war der Konflikt ein verbaler und schriftlicher. Mit einer tatsächlichen Invasion durch Venezuela rechnet aktuell kaum jemand. Einerseits weil es bloß eine einzige asphaltierte Straßenverbindung von Venezuela in die dünn-besiedelte Region Guyanas gibt und diese zudem noch über das Staatsgebiet Brasiliens führt. Brasilien hat seinerseits schon Truppen in die Region verlegt, um Maduros Hirngespinste eiligst einzudämmen. Andererseits haben die USA mit Patrouillenflügen auf Einladung Guyanas bereits deutlich demonstriert, dass sie bereit sind die Geschäftsinteressen ihrer Firmen im alliierten Guyana zu verteidigen. Und mit China hat ein weiterer Player Anteile an Erdölfeldern, der die Unterbrechung von Handelsgeschäften und Rohstoffnachschub wenig zu schätzen weiß. Sollte Venezuela also tatsächlich angreifen, könnte es für Maduro ein noch schlechterer Deal werden, als damals für Shell.